Gefühlswelten

Diese Weltentrennung: Gefühle sind etwas irrationales, nicht begreifbar, benennbar. Sie sind da - oder eben nicht. Es ist schön, schrecklich, traurig - und es gibt Situationen, Fakten, Ereignisse drumherum, Randbedingungen. Die Situationen lassen sich beschreiben, die Gefühle bloss erleben.
Die Welt der Dinge hat Regeln, logische Zusammenhänge können analysiert werden, es gibt Ursachen und Wirkungen.
Die andere Hälfte des Lebens entzieht sich dem, wird staunend und intensiv wahrgenommen.
Der Verdacht keimte auf, dass auch Gefühle bestimmten Regeln gehorchen, steuerbar, begreifbar sind. Dass es eine Aufgabe sein könnte, auch diese Welt zu untersuchen, zu zerlegen, es auch hier mal mit den analytischen Fähigkeiten zu versuchen, die sich für vieles andere so sehr als nützliches Werkzeug erwiesen haben. Davor steht ein fast kindlicher Respekt, die Angst dadurch dieses Ganze, Heilige, Unbegreifbare zu beschädigen. Eine Hürde, die ich noch immer nicht wirklich überwunden habe. Warum kann ich über ein Computerprogramm, eine Mauer aus Ziegelsteinen, einen kaputten Motor bis ins Detail nachdenken, alle Fehler finden, die Mauer auseinandernehmen in ihre Bestandteile - und kann aber nicht sinnvoll und zielstrebig untersuchen ein Gefühl der Verlassenheit, die erlebte Lähmung und Ohnmacht bestimmten Herausforderungen gegenüber, oder das große Kribbeln einer neuen Liebe. Da bleibt nur fruchtloses Grübeln oder besoffene Glückseligkeit. Wie entsteht Nähe, Vertrautheit, Ablehnung, Bewunderung, Sehnsucht? Sollte man das nicht erlernen können, wie eine Fremdsprache, eine Technik? Woher diese Angst, dass die Gefühle danach weniger echt sein werden, wertloser? Eine fremde Sprache wird verständlicher, aber doch nicht langweiliger, wenn ich sie erlerne. Lassen sich Gefühle mit Sprachen vergleichen? Oder sind sie "vor" der Sprache (etwas Heiliges, Gegebenes), und wenn ich ihre Grammatik, ihre Vokabeln lerne, werden sie sich in Luft auflösen wie ein Aberglaube.
_sophie_ - 24. Jun, 23:34

Lass den Gefühlen ihre zauberhafte Magie und seziere sie nicht. Kinder lieben den Zauberer, weil sie nicht verstehen, nicht wissen, nicht erahnen, wie er die Blumen aus dem Ärmel zaubert oder woher das Kaninchen kommt. Ich wünschte, ich hätte niemals erfahren, dass es sich nur um Tricks handelt....

spurlos - 25. Jun, 01:05

"nur Tricks" - und dann vor Bewunderung erschaudern, wie perfekt er diese Tricks ausführt, und nebenbei noch mit den Kindern flirtet. Ist das nicht noch viel besser, als die Ahnungslosigkeit? Die Faszination ist die gleiche: Er spielt mit der Realität - aber ich bin nicht mehr machtlos, ausgeliefert.
Thot - 25. Jun, 01:19

Der springende Punkt. Ich kenne zwei Leute, die ihre Gefühle sehr weit gehend beherrschen. Sie leben in der Gegenwart, sind präsent, können auf Situationen lebendig erfolgreich reagieren. Mir sind die beiden auf eine ganz eigene Art Vorbild.
spurlos - 25. Jun, 01:50

Ja, sowas beeindruckt mich auch, ist mir Vorbild. Trotzdem bleibt die Angst, die Magie zu verlieren, genau wie Sophie es beschreibt. Auch das eine Sehnsucht: unwissend wie die Kinder zu sein. Aber rückwärts geht es nicht...
Thot - 25. Jun, 14:54

Machen wir uns nicht etwas vor? Ist die Magie nicht längst weg und verweigern uns nicht einfach nur der Realität, versuchen diese Gefühle der Kindheit immer und immer wieder hervorzuzaubern, sie zu konservieren - wohl wissend, sie sind unwiederbringlich vergangen.

Ich sehne mich nach etwas anderem aus der Kindheit zurück, dem einfachen Leben - in doppelter Hinsicht. Einmal frei von Zwängen und dann, dass das Leben einfach erscheint, weil es nur gelebt werden will. Die Sehnsucht ist stillbar, trotz gemachter gegenteiliger Erfahrungen. Dessen bin ich mir sicher.
Thot - 25. Jun, 01:10

Mir gefällt der Vergleich mit der Sprache, finde ihn sehr treffend. Die Sprache des Landes zu sprechen, in dem man sich bewegt, bringt ein völlig anderes Lebensgefühl. Und wir bewegen uns wie Blinde in unserer Gefühlswelt.

Ich war gezwungen, mich damit zu befassen und kann einfach nur sagen, es ist ein wunderbares Gefühl, seine Gefühle zu beherrschen, ihnen freien Lauf lassen oder sie zügeln, je nachdem was angemessen erscheint. Nicht dass ich perfekt wäre, dann könnte ich auch übers Wasser laufen, aber den Auslöser für Wut, Niedergeschlagenheit zu kennen, ist schon sehr hilfreich.

Auch mutete es seltsam an, als mir eine liebe Freundin sagte, sie liebe mich nicht, gleichzeitig aber mit mir liebevoll umging, wie ich das selten erlebt hatte. Sie war auf der Suche nach Liebe als etwas Nebulösem, Heiligen, der grossen Liebe, wie man das so schön nennt.

Dass Liebe wächst, wachsen kann, wie alles im Leben wusste sie nicht. Doch sollte das wissen und akzeptieren lernen. Wobei ich nicht ausschliessen mag, es gibt sie, diese grosse Liebe. Man trifft jemand bei dem vom ersten Moment an alles passt. Die Vorstellung ist einfach so schön wie selten.

Ideenjongleur - 27. Jun, 13:36

Magisch UND reproduzierbar

können Gefühle durchaus sein - und genau das macht es aus, was man bei einem Menschen als "präsent" wahrnimmt.

Es gibt Techniken, Training und nicht zuletzt hat ein großer Schauspiellehrer diesen speziellen Moment auf der Bühne wo ein beherrschtes, erprobtes Gefühl in dieses "echte" Erleben umspringt "the magic as-if", "das "magische" als-ob" getauft.

In jenem Punkt vereint sich das technische mit dem Erlebnisfluß. Faszinierend wie beides zusammengeht.

spurlos - 27. Jun, 23:29

the magic as-if das gefällt mir sehr sehr gut. in anderem zusammenhang hatte ich das schonmal entdeckt: "willst du für immer mit mir zusammen sein?" - "ja!". the magic as-if. so könnte es klappen.
Thot - 28. Jun, 22:17

Mir ist der Moment noch genau erinnerlich, an dem ich nach langer, langer Zeit wieder Gefühle "produzierte" und mich dabei als Schauspieler erlebte, der Wut und Zorn spielte und es dauerte bis ich, mein Verstand mitzog, sie als echt akzeptierte. Liebe kann ich bis heute nur simulieren. Ich weiss nicht was Liebe ist.
spurlos - 28. Jun, 23:17

hmmm. Ich bin ja nun nicht der große Ratgeber. Also bleibe ich logisch. Wie kannst Du Liebe simulieren, wenn Du nicht weisst was es ist? Also so eine vage Idee scheint es da ja schon zu geben, was es sein könnte... Und wenn es sich gut anfühlt - einfach mal die Augen zusammenkneifen und nicht so genau hinsehen. Die Frau/der Mann an deiner Seite erlebt das vielleicht genauso (oder ganz anders), jedenfalls ist er/sie gerade da mit dir allein - und ist das nicht ein ganz grossartiges Ereignis? Rein statistisch gesehen - einer von X Milliarden, und ausgerechnet mit diesem ist es ein bisschen anders, ein bisschen schöner, näher als mit den anderen Milliarden, ist doch schon extreeem unwahrscheinlich, und zumindest in so fern sehr sehr wunderbar. ;-))
Thot - 29. Jun, 02:26

Ja, Du hast den Punkt schon erwischt und ich will mich auch nicht selbst schlechter darstellen als ich bin. Es kommt sicher immer darauf an, wie der andere empfindet und gerade diejenigen von denen ich weiss, sie liebten mich, stand und stehe ich rein verstandesmässig gegenüber, schliesse Gefühle aus, habe also auch negative Gefühle weit übers normale Mass hinaus im Zaum. Das kommt beim Gegenüber sicher als Liebe an, doch für mich ist es ein Genuss dadurch Macht zu besitzen.

Meine Stimmung kann auch ein wenig damit zusammenhängen, dass ich heute nach langer Zeit wieder einmal ein tiefgehendes Gespräch mit meiner Schwester führte, mit der ich vertraut bin, wie kaum mit sonst niemand, derzeit jedenfalls. Und deren Mann ihr vor nicht allzu langer Zeit gestand, er tat in ihrer Ehe alles für sie, um mit ihr schlafen zu können. Bemerkenswert, das Geständnis - und ich sehe da Arbeit auf mich zukommen. ;-)
wimpernschlag - 27. Jun, 14:44

als erwachsener kann man auch seinen gefühlen nachspüren wie dem muster eines mosaiks und in vielen fällen trifft man auf den ursprung. das macht das bewußtsein möglich - was uns vom tier trennt. kinder haben dieses bewußtsein lange nicht und wenn sie es erlangen, sind sie keine kinder mehr. bis dahin leben sie sehr ähnlich und selbstverständlich verbunden mit der welt wie kleine tiere... und wir erwachsene beobachten sie mit einer schmerzlichen sehnsucht. dabei ist das ent-decken der eigenen gefühls- und verhaltensmuster ein sehr spannender prozess, der das leben eher bereichert als ihm etwas nimmt. und wie die sprache, die man begreift, eröffnet auch das erkennen der eigenen muster ganz neue welten...

spurlos - 27. Jun, 23:39

ich gebe mir mühe (mühe allein genügt nicht...). ja, du triffst den punkt. diese selbstverständliche akzeptanz des mosaiks.
bilder sind vielleicht ein weg? ich erlebe sie, fühle etwas - später sehe ich sie mir an, finde heraus, was ich gefühlt habe, bearbeite sie (manchmal), bis das noch klarer wird. und sende sie hinaus, in der absicht und hoffnung, gefühle auszulösen, meine unvermittelten eindrücke zu vermitteln. aber diesen prozess ganz in die unvermittelte dichte des augenblicks zu packen, das muss ich noch üben. das bewusste arbeiten an und mit gefühlen. nachspüren - und irgendwann dann aber auch handeln, direkt, konkret, bewusst emotional.

comments

Hm kommt mir bekannt...
Hm kommt mir bekannt vor, hab auch mal gesucht und...
NBerlin - 14. Mai, 12:50
bin hier gestrandet,...
bin hier gestrandet, einfach so. gefällt mir. vielleicht...
logi-cal - 28. Apr, 22:24
Wunderschoen geschrieben...
Wunderschoen geschrieben und ich kenne den Moment nur...
Vina - 21. Feb, 15:49
willkommen daheim...!...
also, ich bin noch da, spurlos, obwohl auch ich seit...
wimpernschlag - 24. Dez, 21:29
beides ...
beides ...
Desideria - 17. Dez, 18:29
das mit den giraffen,...
das mit den giraffen, meinst du? oder den bluuuuues...
spurlos - 23. Nov, 02:03
ich kann das sehr gut...
ich kann das sehr gut verstehen ...
Desideria - 22. Nov, 22:49

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